Prof. Dr. h. c. Jutta Allmendinger hat schon vor vielen Jahren für sich ein Erfolgsrezept gefunden, das Wirtschaft und Politik erst neuerdings für sich erkennen und anfangen umzusetzen – einfach mal machen, sich ausprobieren und nicht alles perfekt vordenken. Dafür braucht es Mut, und genau diesen Mut hat Frau Allmendinger im Laufe ihrer Karriere konsequent bewiesen. Das ist aus meiner Sicht genau die Haltung und die Strategie, die wir heute so dringend brauchen, um in der rasanten digitalen Transformation den Anschluss in der Welt nicht zu verpassen. Sie ist der Auffassung, dass wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit unsere top qualifizierten Frauen ihr Potenzial mit all ihren Fähigkeiten einbringen und weiter entfalten können.

Ich durfte Prof. Dr. h. c. Jutta Allmendinger am Rande einer New-Work-Konferenz zu einem persönlichen Gespräch in der Elbphilharmonie treffen. 

#Femaleleadership #femaleempowerment #amwmotto2019: Auf die Plätze, MUTIG, los! Lest selbst.  

Prof-Dr-h.c.-Jutta-Allmendinger

Interview:

AMW: Professor Allmendinger, was war Ihr Motor, den Weg zu beschreiten, den Sie gegangen sind? 

JA: Ich wollte die Interaktion von Raum und Sozialstruktur kennenlernen und bin von Natur aus neugierig. Ich hab also wirklich viel ausprobiert: Ich hatte schon mal einen Blumenladen, war Leistungssportlerin – und wurde dann Wissenschaftlerin. Ich dachte, die akademische Welt bietet mir persönlich mehr Entfaltungsmöglichkeiten als die freie Wirtschaft. Und das macht mir bis heute großen Spaß. 

Was war Ihr Erfolgsrezept?

Ich persönlich glaube, der Grund, warum ich in Deutschland schnell Karriere machte, ist durch Signale entstanden, die wenig mit mir zu tun haben, sondern mit Institutionen. Wenn man mit einem guten Harvard-Examen nach Deutschland kommt, wird man in allen Bewerbertöpfen automatisch nach vorne gezogen. Was ich immer als ungerecht empfunden habe, weil ein soziales Kapital dahintersteht – und auch so ein bisschen Entrepreneurship, weil ich die Studiengebühren nicht hätte selbst zahlen können. Es ist eigentlich nicht meine Person, die da nach vorne strampelt. Ich hatte das Glück, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein – und den Mut, ins kalte Wasser zuspringen.

War die Neugierde stärker als die Angst? 

Neugierde und Mut gehören zusammen. Dass ich Harvard schaffen würde, war mir alles andere als klar. Ehrlicherweise dachte ich: Gut, dann probierst du es halt; und wenn es dann nicht geht, dann geht es halt nicht. Das war in anderen Jobs auch so.

Amerikaner denken übers Scheitern ganz anders als wir. Sie klopfen einem nach dem Scheitern auf die Schulter, weil man mutig war. Hierzulande wird man eher verurteilt und das verhindert oftmals, Schritte zu gehen.

Ich würde sogar noch weitergehen. Scheitern mit individuellem Versagen gleichzusetzen und die Möglichkeit des Lernens nicht zu sehen, ist wissenschaftsfeindlich – und feindlich für die Entwicklung einer Gesellschaft. 

Das Thema Gleichstellung beschäftigt Sie sehr. Was haben Sie für Erkenntnisse für sich gezogen? Wie hat sich Diversity im Laufe der Jahre oder Jahrzehnte verändert und wo müssen wir uns noch hinbewegen? 

Bei der Gleichstellung bewegen wir uns in Trippelschritten fort. Als ich 1994 in eine volle Statistik-Vorlesung mit einem Kleinkind kam, wurde ich fast schon ausgebuht. Man fragte, wie ich nach einer Geburt denn jetzt schon wieder da sein kann, und das mit einem Kleinkind. 2018 machten wir zu dieser Thematik eine Untersuchung: Wir bewarben uns mit Fake-Lebensläufen auf Stellenausschreibungen, und zwar als Frau und Mann mit je zwei und zehn Monaten Erziehungspause. Bei den Männern gab es überhaupt keinen Unterschied. Die Frauen, die zwei Monate unterbrochen hatten, gingen leer aus. Die Erklärung der Personaler: Eine Frau mit nur zwei Monaten ist unsympathisch, überambitioniert, karrieregeil. Auch mit einem Abstand von 25 Jahren sind wir also nicht weitergekommen.

Originale Aussage von Frau Allmendinger zur Frage der
Gleichstellung und Diversity.

Wie können wir diesen Prozess beschleunigen?

Mit einer gesetzlich verpflichtenden Quote. Die politischen Parteien haben gezeigt, dass sie etwas nutzt. Auch in Aufsichtsräten hat die Quotierung genutzt, jetzt müssen wir auch in die anderen Etagen gehen. Umgekehrt sollten wir aber auch alles dafür tun, dass auch Männer Frauenberufe ergreifen. Und wir müssen an der Tarifierung von Frauenberufen etwas ändern.

Ich erlebe die jüngere Generation vermehrt so, dass sie mit mehr Selbstverständlichkeit den Job, die Aufgabe sehen und weniger in Geschlechtern denken. Wozu raten Sie jungen Frauen, die Karriere machen wollen?

Ich bin mir nicht sicher, ob ihre Grundprämisse stimmt. Wenn Sie mich 1980 gefragt hätten, ob ich für eine Quotierung bin, dann hätte ich mit absolutem Selbstverständnis gesagt: niemals. Warum soll ich das nicht packen? Auch meine Studierenden sind vollständig davon überzeugt, dass sie keine Quote brauchen. Sie sind in der Schule besser, bekommen die besseren Noten, auch noch im Studium. Sehe ich dieselben Frauen nach zehn Jahren wieder, sind sie im wissenschaftsunterstützenden Bereich – und keine Professorinnen, die sie werden wollten. Und dann sind sie plötzlich für Quotierung. Wir müssen Strukturen ändern, eine rigidere gesetzliche Rahmenbindung haben. Wir müssen die Wirtschaft dazu zwingen, über Gleichstellung nicht nur zu reden, sondern damit ernst zu machen.

Statement aus dem original Interview zur jüngeren Generation.

Was denken Sie, was verhindert Karriere von Frauen? 

Die Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern hat sich weitgehend angepasst. Was die Frauenkarrieren verhindert, ist die unglaubliche Diskrepanz im Arbeitsvolumen von Frauen und Männern. Frauen sind oftmals halbtags erwerbstätig, Männer ganztägig. Damit öffnen sich unendlich viele Unterschiede: im Einkommen, bei den Renten, in den Karriere-Entwicklungs-Möglichkeiten. Eine gleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Männern und Frauen – das ist für mich der Schüssel.

Ich habe gelesen, Sie plädieren für die Vier-Tage-Woche und für garantierte Sabbaticals. 

Ja, ich plädiere für mehr Teilzeit oder weniger Vollzeit – das kann sich dann in zwei Vier-Tages-Wochen darstellen, wie skandinavische Paare es schon immer machen: Sie teilen sich Haushalt und Arbeitszeit. Die Aufteilung macht vieles einfacherer und schafft wenig Anreize, auf Personal zu setzen, das Vollzeit oder über Vollzeit arbeitet.

Was gefällt Ihnen an der Arbeit als Führungskraft? Wie kann man sie jungen Frauen schmackhaft machen?

In meinem Job kann man unwahrscheinliche Dinge umsetzen: Den 50sten des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung feiern wir zum Beispiel mit Daniel Barenboim, der für die Verbindung von Israelis und Palästinenser steht. Großartig ist auch, dass wir sagen können, beim Abbau sozialer Ungleichheit ziehen wir alle an einem Strang, und alle gehen mit. Anders gesagt, dass man ein bisschen was tun kann für eine bessere Welt von morgen. Das könnte ich in anderen Jobs nicht. 

Gab es in ihrem Leben so etwas wie einen Mentor oder eine Mentorin, jemanden, der – neben Ihnen selbst natürlich – maßgeblich Ihre Karriere unterstützt hat?

Ja, natürlichMein Promoter war hart, das muss ich schon sagen. Die Besprechung des ersten Kapitels meiner Doktorarbeit werde ich nie vergessen. Ich kam in sein Büro, alles sehr edel, altes Harvard, und setzte mich. Er gab mir einen Umschlag. Erfolgsverwöhnt, wie ich war, hatte ich überhaupt keine Fragezeichen, bedankte mich und rechnete mit einem A+. Den Brief wollte ich in Ruhe zu Hause lesen. Doch er bat mich: „Though could you please open it?“ – beim Öffnen flogen mir kleine Fetzen entgegen: Mein erstes Kapitel war zu Konfetti zerrissen. Er schickte mich mit den Worten nach Hause: „You can do better than that“. Die klare Direktive: Arbeite an deiner Selbstbildung und gib etwas Ordentliches ab, keine Schnellschüsse. Ich musste ihm recht geben. Ich habe das Kapitel noch mal geschrieben und es war 1000-mal besser.

O-Ton aus dem Interview zur Frage nach
einem Mentor oder Mentorin.

Ist das auch ein Tipp, den Sie an Frauen heute weitergeben würden? 

Das ist schon eine Erfolgsnotwendigkeit: dass man das, was man macht, tatsächlich kann und sich gut vorbereitet. Nichts ist schlimmer als in Besprechungen zu gehen, in denen alle merken, man schwimmt. Von daher: hinsetzen, arbeiten – und nicht versuchen zu blenden. Aber die meisten Frauen tun das allemal, habe ich den Eindruck. 

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch!

VITA Prof. Dr. h. c. Jutta Allmendinger: